hier zwei kleine Geschichten aus meiner großen Sammlung

Die Brille

Die Reise der Schneeflocke

Die Brille

Es war Sommer. Es war warm. Es war Mittag. Ideale Zeit für eine Siesta. Ich legte mich in den Garten auf meine Liege, nahm die Brille ab, legte sie auf den Rasen und ruhte mich aus. Nachdem ich lange genug geruht hatte stand ich wieder auf. Spontan entschied ich mich doch heute noch Rasen zu mähen.
Nach dem Mähen setzte ich mich auf die Terrasse, nahm die Zeitung um etwas zu lesen. Meine Frau war in der Küche beschäftigt. Ich ging durch unser Haus, um meine Brille zu suchen.
“Suchst du was?”
“Ja.”
“Was denn?”
“Meine Brille.“
Ich suchte, aber fand sie nicht. Also begann ich zu überlegen, wo mir die Brille das letzte Mal begegnet war. Ich blickte in den Garten. Ich blickte auf die Liege. Eine dunkle Vorahnung kam in mir auf. Je länger ich überlegte desto sicherer war ich mir, dass ich die Brille auf den Ra­sen gelegt hatte. Meine Frau kam heraus.
“Hast du sie gefunden?”
“Nein. Noch nicht.”
“Was guckt du immer so auf den Rasen.”
“Nur so, sieht doch schön aus, oder?”
“Na ja ein englischer Rasen ist was anderes.”
“Hm.”
“Hast du deine Brille gefunden?”
“Noch nicht.”
Meine Frau fing an zu lachen.
“Na ja vielleicht hast du sie ja auf den Rasen gelegt und bist dann mit dem Rasenmäher drübergefahren.”
Ich lachte nicht. Meine Frau schaute mich an.
“Nun sei doch nicht gleich beleidigt. War doch nur ein Witz. So schusselig bist du ja nun auch wieder nicht.”
Ich setzte mich hin und nahm die Zeitung.
“Ohne Brille kannst du doch gar nicht lesen.”
“Ach es geht schon.”
“Soll ich dir suchen helfen.”
“Nein, ist nicht so wichtig.”
“Du wirst auch immer komischer.”
Ich blickte auf die Zeitung, aber ohne Brille konnte ich nur die Über­schriften erkennen. Also stand ich auf und ging im Garten spazieren. Wie zufällig ging ich zu dem Platz an dem meine Liege gestanden hatte. Meine Frau beobachtete mich. Ich suchte den Rasen ab. Von meiner Brille war nichts zu sehen. Vielleicht war sie jetzt im Grasfangkorb, oder auf dem Kompost. Ich wollte schon aufgeben, da fand ich doch noch 2 kleine Teile von einem Bügel und ein paar Glassplitter. Ich hob die Bügel­reste auf.
“Hast du was gefunden?”
Ich ging zu meiner Frau und zeigte ihr die Bügelreste.
“Sieht aus wie ein Teil vom Rasenmäher, vielleicht von den Lüfter­walzen.”
Sie hatte recht. Das hätte durchaus sein können, denn ich habe einen Rasenmäher mit Lüfterwalzen, deren Haken sich mit der Zeit abstoßen und lösen. Aber es war kein Teil von der Lüfterwalze, es war meine Brille.
“Vielleicht ist es auch etwas anderes?”, sagte ich.
“Wieso, was soll das denn sonst sein?”
Ich zuckte mit den Schultern und schaute mir die Teile an.
“Ohne deine Brille kannst du sowieso nichts erkennen.”
“Ich habe ja noch eine Lesebrille.”
“Ich verstehe das nicht, irgendwo muss doch deine Brille sein.”
“Ich bin ja versichert, falls ich sie nicht wiederfinde.”
“Das wird bestimmt teuer. Na ja aber die Brille kann ja nicht weggelaufen sein, vielleicht ist sie ganz in der Nähe.”
Ich holte den Versicherungsschein, während meine Frau das ganze Haus absuchte. Sie fand die Brille nicht. Im Versicherungs­schein stand nichts über Rasenmäher. Aber bei Beschädigung zahlte die Versicherung und meine Brille war ja offensichtlich beschädigt.
Am nächsten Tag ging ich zum Optiker der seine Filiale in einem gro­ßen Kaufhaus hatte.  Mir war klar, dass ich nicht lange um den heißen Brei herumreden durfte, sondern gleich mit der Wahrheit herausrücken musste. Ehrlich währt am längsten. Ich öffnete mein Brillenetui und zeigte der Optikerin die Bügelreste.
“Ich hatte einen Unfall mit meinem Rasenmäher.”
Die Optikerin schaute sich die Teile an.
“Die Gartenabteilung befindet sich im Untergeschoss.”
Die Dame hatte mich nicht verstanden.
“Nein, nein ich komme wegen meiner Brille.”
“Und wo haben Sie die Brille?”
Ich zeigte auf das Brillenetui.
“Wissen Sie, ich wollte ja eigentlich nur Rasenmähen, aber dann lag da meine Brille auf dem Rasen, und ohne Brille sehe ich ja eigentlich ganz gut, aber in dem hohen Gras, und dann habe ich…”
“Ach so, sie haben ihre Brille geschreddert. Warum sagen Sie das denn nicht gleich.”
Ich starrte die Optikerin an die schon auf dem Weg zum Computer war und die Daten für den Versicherungsfall eingab.
“Das macht eine Eigenbeteilung von 90,00 EUR.”
In Anbetracht der Tatsache, dass die Brille über 400,00 EUR gekostet hatte, war das in natürlich in Ordnung.
“Dauert ca. eine Woche, ich rufe sie an, ihre Geschäftsnummer habe ich ja im Computer. Kann ich sonst noch was für sie tun?”
Ich verneinte.
Zu Hause erzählte ich meiner Frau stolz, dass alles völlig problemlos gelaufen sei.
“Und was ist, wenn du deine Brille doch noch wiederfindest?”
“Das habe ich gar nicht gefragt.”
“Was? Und die haben dir einfach geglaubt?”
“Na ja, ich war wohl sehr überzeugend.”
“Warst du denn auch in der Gartenabteilung wegen der Lüfterwalze vom Rasenmäher?”
“Das habe ich glatt vergessen?”
“Du hattest doch extra die Teile mitgenommen.”
“Das mache ich morgen, ich hatte keine Zeit mehr.”
Am nächsten Tag habe ich dann schnell eine neue Lüfterwalze für den Rasenmäher gekauft.
Die nächsten Tage wartete ich in meinem Büro gespannt auf den Anruf der Optikerin. Als ich nach 5 Tagen noch nichts gehört hatte rief ich selber an, die Brille war aber noch nicht da. Ich wies noch mal darauf hin mich nicht privat anzurufen. Sicher ist sicher.
 Am nächsten Tag sagte dann meine Frau beim Abendbrot:
“Weißt du wer heute bei mir im Büro angerufen hat?”
“Nein.”
“Die Frau vom Optikerladen.”
Mich traf der Schlag. Wir mussten damals die Geschäftsnummer mei­ner Frau angegeben haben, weil sie tagsüber besser zu erreichen ist.
“Die hat vielleicht einen Quatsch gefaselt.”
“Wieso?”
“Sie hat gesagt, sie rufe wegen dem Rasenmäher an.”
“Wegen was?”
“Wegen einem Rasenmäher. Du hättest was von einem Rasenmäher erzählt. Und du könntest jetzt wieder Rasenmähen, bis zum nächsten Mal.”
Ich blickte meine Frau entgeistert an.
“Ja, so dumm habe ich auch geschaut. Was hast du der denn erzählt? Dass du deine Brille mit dem Rasenmäher überfahren hast?”
“Wieso, das hast du doch selber gesagt.”
“Aber das war doch bloß ein Witz gewesen.”
“Weiß ich doch, aber die Optikerin hat das geglaubt.“
“Die hat das geglaubt? Das ist ja eine Frechheit. Für wie bescheuert hält die dich eigentlich?”
“Weiß ich nicht. Ist doch auch egal. Hauptsache ich habe eine neue Brille.”
“Na du bist mir einer. Wenn die Frau noch mal anruft, dann erzähl ich der aber ein paar Takte.”
Einige Wochen später fand meine Frau dann auf dem Rasen noch wei­tere Teile.
“Wieso sind da denn immer noch Metallteile auf dem Rasen. Ich dachte du hättest die Lüfterwalze getauscht?”
“Nein, da bin ich noch nicht zu gekommen.”
“Ach so, dann ist ja gut. Und ich dachte schon das wären Teile von deiner Brille und du hättest sie wirklich mit dem Rasenmäher geschred­dert.”

Die Reise der Schneeflocke

Fast ein ganzes Jahr hatte ich warten müssen. Meine Chefin, Frau Holle, sagte immer nur zu mir:
„Peter, es ist noch nicht kalt genug. Du musst noch warten.“
Ich war traurig. Das Leben als Schneeflocke mitten im Klimawandel ist hart. Sehr hart und meistens auch sehr kurz.
Eines Tages jedoch, es war schon kurz vor Weihnachten, rief mich Frau Holle zu sich und sagte:
„Es ist soweit Peter. Du kannst starten. Viel Glück.“
Na endlich. Zusammen mit tausenden Kumpels stieg ich auf den Startblock. Wie auf Kommando sprangen wir alle in die Luft und entfalteten unsere Kristalle. Das Fliegen ist das schönste im Leben einer Schneeflocke. Minutenlang schwebte ich durch die Luft und kam der Erde immer näher. Schließlich landete ich auf einem Hof, der voller Kinder war. Das war aufregend. Die Kinder freuen sich immer so, wenn ich komme. Einmal wurde ich zu einem Schneemann und konnte über Wochen bleiben, aber so viel Glück hat man wohl nur einmal.
Kaum war ich gelandet hob mich ein Mädchen mit hunderten anderen Schneeflocken auf und formte aus uns einen Ball. Diesen warf er dann anderen Kindern zu und die wieder zurück. Mann war das cool. Die Kinder lachten und tobten und ich hatte so richtig viel Spaß am Fliegen.
Doch dann wurde es plötzlich immer leiser. Ich war auf der Nase eines kleinen Jungen gelandet. Der Aufprall war ziemlich hart gewesen. Der Junge weinte und lag am Boden. Dann hörte ich wie ein Krankenwagen kam. Ich klammerte mich unbemerkt an einer Augenbraue des Jungen fest. Jetzt wurde es spannend und ich durfte keine Sekunde verpassen. Der Junge weinte nicht mehr und man trug uns zu dem Krankenwagen.
Dort drinnen war es allerdings viel zu warm für mich. Ich dachte nur, wenn das hier lange dauert, überlebe ich das nicht. Die Sanitäterin war super nett. Sie lächelte dem Jungen freundlich in die Augen. Oder schaute sie vielleicht sogar mich an. Ich hing immer noch an der Augenbraue und war furchtbar aufgeregt. Ich hatte noch nie ein Rendevouz mit einer Sanitäterin gehabt.
Doch ich hatte mich geirrt, die Frau holte eine Flasche heraus und träufelte die Flüssigkeit in die Nase des Jungen. Komm mir bloß nicht zu nah Mädel, dachte ich, Flüssigkeiten sind mein Tod. Aber ich hatte Glück.
Und dann kam das Wundersamste überhaupt. Die Sanitäterin holte einen Eisbeutel aus einem Gefrierschrank und legte ihn auf die Nase des Jungen. Ich ergriff sofort die Chance und fiel von der Augenbraue direkt auf den Eisbeutel. Ich war gerettet. Der Eisbeutel wurde zwar etwas rot weil der Junge noch leicht blutete, aber das störte mich nicht. Rot steht mir gut.
Dann durften wir wieder zurückgehen auf den Hof. Die anderen Kinder hatten inzwischen einen Schneemann gebaut. Dieser war wunderschön, aber irgendetwas fehlte, er war irgendwie farblos. Der kleine Junge bemerkte das sofort. Er ging auf den Schneemann zu und backte den roten Eisbeutel mitten in das Gesicht des Schneemanns.